{Rezension} Die Geschichtensammlerin von Jessica Kasper Kramer

Die zehnjährige Ileana liebt Geschichten, Märchen und Gedichte, sie schreibt sie auf und sammelt diese Texte wie Schätze. Doch Ileana lebt im kommunistischen Rumänien des Jahres 1989, in dem die Menschen in ständiger Angst leben, Lebensmittel immer knapp sind und zu jeder Zeit der Strom ausfallen kann. In dieser Zeit sind Geschichten ein gefährliches Gut, sodass Ileanas wertvolle Sammlung von ihrem Vater vernichtet wird und sie schließlich zu ihren Großeltern aufs Land geschickt wird, um dort in Sicherheit zu sein. Doch die Securiatate dringt nur wenig später bis in die Wäldern der Karparten vor, so dass Ileana genauso schlau und listig sein muss wie ihre Namensvetterin aus ihrem geliebten Märchen, um ihre Familie zu retten.

Die Bücher aus dem Wunderraum Verlag sind nicht nur von der speziellen Aufmachung, Hardcover mit Leinenrücken und Lesebändchen, immer etwas Besonderes, sondern auch die Geschichten zwischen den Buchdeckeln wissen ihre Leser*innen zu verzaubern.

Jessica Kasper Kramer verwebt in ihrem Debütroman »Die Geschichtensammlerin« Erzählfäden aus dem historischen Genre mit rumänischer Folklore und märchenhaften Passagen zu einem fesselnden zeitgenössischen Roman. Die Geschichte ist im Jahr 1989 in Rumänien angesiedelt und trägt sich somit im Jahr der blutigen Revolution gegen den neostalinistischen Diktator Ceaușescus und die kommunistische Politik des Regimes zu.

Als Erzählerin und Hauptprotagonistin fungiert die zehnjährige Ileana, die nach der jüngsten Prinzessin aus ihrem Lieblingsmärchen benannt wurde, tatsächlich gab es wirklich einmal eine rumänische Prinzessin mit diesem Namen (es gibt allerdings keinen Bezug zum Märchen im Roman). Als Tochter eines Literaturprofessors liegt ihr die Liebe zu Geschichten bereits in den Genen und so schreibt und sammelt Ileana Erzählungen und Märchen in einer glitzernden Mappe, die ihr alles bedeutet.

»Aber wenn wir schon annahmen, dass früher alles besser war, dann konnten wir uns auch vorstellen, wie es in Zukunft wieder besser werden konnte.«
Seite 11

Die Kindheit der Geschichtensammlerin ist alles andere als unbeschwert, denn in dem kommunistisch geführten Rumänien herrscht eine raue Atmosphäre der Angst, welche Jessica Kasper Kramer eindrucksvoll in ihren Zeilen einfängt und damit für Gänsehaut sorgt. Auch die Lebensumstände, wie Missstände in der Versorgung mit Lebensmitteln, Stromengpässe, kaum warmes Wasser und die ständige Furcht vor Spitzeln der Securiatate belauscht zu werden, sind Bestandteil des beklemmenden Settings.

»Denn manchmal ist das, was gesagt wird, weniger wichtig als die Wörter, die man vor den anderen geradezu versteckt.«
Seite 79

Tatsächlich entdeckt Ileanas Familie in ihrer Wohnung eines Tages Abhörwanzen. Die gefährliche Geschichtensammlung vom Vater verbrannt, mit dem Nötigsten im Gepäck, wird Ileana in den Zug gesetzt, der sie von Bukarest zu ihren Großeltern aufs Land bringt. Alleine in der unbekannten Umgebungen ist sie auf die Hilfe ihrer völlig unbekannten Verwandten angewiesen. Doch das Mädchen wird an diesem abgelegenen Ort mit seiner mystischen Aura, die Geschichten über Hexen und Wölfe glaubhaft werden lässt, herzlich aufgenommen und findt eine Freundin, auf die sie sich auch in schweren Zeiten verlassen kann.

Die bedrückenden Kapitel werden immer wieder von den Erzählungen, die Ileana sammelt und natürlich dem Märchen über die listige Prinzessin aufgelockert, welche perfekt mit der historischen Geschichte verschmelzen. Jessica Kasper Kramers Erzähl- und Schreibstil hat mir wirklich gut gefallen, doch an manchen Stellen bricht die Verwendung von zu moderner Sprache und Redewendungen die Buchmagie, denn Wörter wie beckackt, verzapft oder Schiss haben, wollen nicht so recht zum nostalgischen Bild dieser Zeit passen und verleihen dem Werk etwas Entrücktes.


»Die Geschichtensammlerin« ist ein bemerkenswertes Romandebüt, das mit einer fesselnden Mischung aus Historie, Folklore und Märchen begeistert.

★★★★½

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Titel: Die Geschichtensammlerin
Originaltitel: The Story That Cannot Be Told
Autorin: Jessica Kasper Kramer
Übersetzer: Marcus Ingendaay
Genre: Gegenwartsliteratur
Verlag: Wunderraum Verlag (Random House)
ISBN-13: 978-3336548156
Format: Gebunden
Seitenanzahl: 352 Seiten
Preis: 20,00 €
Erschienen: 25. Mai 2020

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Jessica Kasper Kramer ist Autorin und Professorin für Anglistik in Chattanooga, Tennessee. Sie besitzt einen Abschluss in Creative Writing und hat einmal längere Zeit als Dozentin an einer internationalen Schule in Japan verbracht. »Die Geschichtensammlerin« ist ihr erster Roman.

Mehr Informationen zur Autorin unter: www.jkasperkramer.com/

Quelle: Random House


[…] Die Geschichtensammlerin ein rundherum faszinierendes Leseerlebnis, welches ich euch unbedingt empfehlen möchte.
Friedelchens Bücherstube

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2 Kommentare

  1. Hallöchen Bella,

    irgendwie erinnert mich deine Schilderung dieses fantasievollen, kreativen Mädchens an die protagonistin aus Pans Labyrinth. Sie flüchtet damit ja auch vor familiären und politischen Problemen (das ist sehr kurzatmig ausgedrückt, aber du weißt bestimmt, wie ich das meine).

    Ich bin kein großer politisch interessierter Mensch (nicht schön, ich weiß), aber finde die Thematik und auch Historie in Büchern oft besser und vor allem anschaulicher erzählt. So wirkt es auch hier.

    Danke dir für die Rezi.

    Liebe Grüße
    Tina

    • Liebe Tina,

      Pans Labyrinth fand ich schon damals als Film großartig und weiß genau was du meinst. Wobei in diesem Buch das Mädchen einfach Geschichten liebt und jetzt nicht unbedingt in sie flüchtet, um die anderen Probleme zu vergessen. Vielmehr ist die Heldin hier etwas aktiver im realen unterwegs.

      Über Politik informiere ich mich meist nur über das nötigste. Ich lese nämlich auch viel lieber unterhaltsamer aufgearbeitete Romane und da kann es dann gerne auch politisch werden :)

      Ich wünsche Dir einen angenehmen und schönen Abend!

      Liebe Grüße
      Bella

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