{Rezension} In Küstennähe von Joachim B. Schmidt


Lesedauer: 4 Minuten

In der Abgeschiedenheit von Islands Westfjorden erträumt sich der dreiundzwanzigjährige Lárus ein Leben in wärmeren Gefilden. Das Gehalt als Aushilfe des Hausmeisters im Altenheim von Isafjörður bessert er mit seinem Nebenverdienst als Drogendealer auf. Sein Leben ändert sich, als er eines Tages in Zimmer 37-A einen kaputten Heizkörper repariert, und auf Grímur trifft, der den Beinamen ›Der Schlächter‹ trägt. Man munkelt, er habe seine eigene Schwester ermordet, und Lárus, der sich mit dem Alten auf eigensinnige Weise verbunden fühlt, will dem auf den Grund gehen.

Joachim B. Schmidt beging vor seinen Bestsellern »Kalmann« und »Tell« sein literarisches Debüt mit »In Küstennähe«, welches bereits 2013 im Landverlag erschienen ist, und nun auch als Taschenbuch vom Diogenes Verlag erhältlich ist.

Dass ihm das Geschichtenerzählen im Blut liegt, beweist Joachim B. Schmidt auch schon in seinem Erstlingswerk auf bravouröse Art, spinnt er um seine schrullig anmutenden Charaktere vor isländischem Setting, eine mitreißende Story über eine ungewöhnliche Freundschaft und das Leben in den Westfjorden.

Der Held der Geschichte ist der junge Mann Lárus, der sich als Taugenichts mit der Drogendealerei eine goldene Nase verdient und als Deckung hierfür als Hilfskraft dem deutschen Hausmeister im Altenheim von Isafjörður mehr oder weniger motiviert zur Hand geht. Seine Eltern in Bolungarvik, besucht er nur noch selten zum Essen, daher ahnen sie auch nichts von der illegalen Tätigkeit und wähnen ihren Sohn auf einem guten Weg. Seine sozialen Kontakte beschränken sich in den dünn besiedelten Westfjorden auf seine Kundschaft und ab und an lässt sich Lárus gerne mal volllaufen, aber von den Drogen lässt er die Finger.

Erst als ihn die Arbeit im Altenheim eines Tages in das Zimmer des alten Grímur führt, den er bereits aus Kindheitstagen kennt, spielten seine Freunde und ihm doch mit Streichen übel mit, sieht sich Lárus mit seiner eigenen Einsamkeit konfrontiert. Grímur, auch unter dem Namen ›Der Schlächter‹ bekannt, spricht mit niemandem mehr, da die Leute, mit ihrer Gerüchteküche über die inzestuösen Liebe zu seiner Schwester und den Mord an ihr, sowieso nie an seiner Wahrheit interessiert waren.

In ihrer Einsamkeit haben sich Grímur und Lárus, der eine am Ende seines Lebens, der andere am Anfang seines Lebens stehend, wenn auch nicht gesucht, so doch gefunden. Die Freundschaft der beiden fördert schließlich ihre Geheimnisse ans Licht und sie helfen sich schließlich gegenseitig bei der Überwindung der Dunkelheit, die sie überschattet.

Mit seiner Erzählung über die ungleiche Freundschaft verbindet Joachim B. Schmidt den tragischen Lebenslauf von Grímur mit, der sich erst noch entwickelnden Lebensgeschichte des jungen Lárus, und erschafft dabei eine ausgewogene Mischung von Melancholie und Hoffnung. Und dann sind da noch die lebendig gezeichneten Nebencharaktere, wie Helmut der deutsche Hausmeister, der mit seiner Tüchtigkeit und Sparsamkeit immer wieder mit der Pflegeleiterin aneinandergerät und die hübsche Pflegerin Soffia, auf die Lárus ein Auge geworfen hat, mit seinen frechen Sprüchen jedoch nicht so richtig bei ihr landen kann. Sie lockern die bedrückende Stimmung um die schweren Themen des Romans deutlich auf.

Am meisten berührt hat mich tatsächlich Grímur, der die gesellschaftliche Ächtung so viele Jahre still ertragen hat und der unter seiner harten Schale einen weichen Kern in sich trägt. Wie er sich dann gegenüber Lárus öffnet und ihn unter seine Fittiche nimmt, beweist dies nachdrücklich. An Lárus mochte ich seinen schelmenhaften Charme sowie seinen Fantasiereichtum, mit dem er es immer wieder schafft, sich aus der Patsche zu manövrieren.

»In Küstennähe« ist das absolut lesenswerte Debüt von Joachim B. Schmidt, welches das Leben der Isländer mit kauzigen Charakteren einfängt und dabei unweigerlich ans Herz geht. Als Minuspunkt muss ich allerdings den zu wenig verfolgten Handlungsstrang über Soffia aufführen, hier hat die abschließende Enthüllung etwas Unpassendes an sich.


Ein unterhaltsames Debüt, welches mit fein gezeichneten Charakteren und isländischem Charme trotz der schweren Themenbandbreite verzaubert.

★★★★☆

*WERBUNG*


Titel: In Küstennähe
Autor*in: Joachim B. Schmidt
Genre: Gegenwartsliteratur
Verlag: Diogenes
ISBN-13: 978-3257246667
Format: Taschenbuch (detebe)
Seitenanzahl: 336 Seiten
Preis: 14,00 €
Erschienen: 28. September 2022

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Joachim B. Schmidt, geboren 1981, aufgewachsen im Schweizer Kanton Graubünden, ist 2007 nach Island ausgewandert. Seine Romane ›Tell‹ und ›Kalmann‹ waren Bestseller; mit ›Kalmann‹ erreichte er den 3. Platz beim Schweizer Krimipreis und erhielt den Crime Cologne Award. ›Tell‹ war auf Platz 1 der Schweizer Bestsellerliste. Der Doppelbürger lebt mit seiner Frau und zwei gemeinsamen Kindern in Reykjavík.

Quelle: Diogenes


„ In Küstennähe“ ist ein sehr einfühlsamer Roman. Die Freundschaft die Grímus und Lárus schließen ist zwar eigenartig, aber auch wunderschön.
Sarahs Pancake

Am Anfang passiert nicht viel. Die Dinge ziehen sich ein bisschen. Aber die Geschichte kommt in Fahrt und der Schluss ist grandios. Klare Leseempfehlung!
Schreiblust Leselust

Das Buch ist spannend, gibt einen Blick in die isländische Kultur. Lesenswert!
Michaels Beers & Beans

Mit seinem ersten Roman taucht Schmidt einen soziologischen Eiswürfel in einen literarischen Geysir.
Viceversa Literatur, Andreas Thiel

Sein Roman, mit dem er seiner Wahlheimat in gewisser Weise ein spezielles Denkmal setzt, unterhält und lehrt obendrein so manches und macht in dieser Kombination aus diesem Buch etwas ganz Kostbares.
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Literarischer Monat

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2 Kommentare

  1. Liebe Bella,

    wie schaffst du es, jeden Monat so viele Bücher zu lesen? Wenn es gut läuft, lese ich vielleicht ein ganzes Buch in der Woche. Und auch ich habe Kaffee, koffeinhaltigen Kakao und Tee… ;-) Bei 40 Stunden Arbeit und Haushalt komme ich meistens nur mal abends und natürlich am Wochenende dazu. Du bist also quasi ein gutes Vorbild. :-D

    Schöne Ostertage
    Paula

    • Liebe Paula,

      bei mir schwankt es auch immer mal wieder. Kommt darauf an, was alles beruflich und privat ansteht und wie meine Leselaune gerade ist. Momentan läuft es aber richtig gut und ich falle von einem Buch ins Nächste :)

      Denke, falls es mit der Familienplanung endlich klappt, werde ich bestimmt auch nicht mehr so viel Zeit zum Lesen haben.

      Danke für deinen lieben Kommentar und auch dir frohe Ostern!

      Herzlichst
      Bella

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