{Rezension} Vaters Wort und Mutters Liebe von Nina Wähä

Siri und Pentti Toimi haben mit ihren zwölf (noch lebenden) Kindern eine wahre Großfamilie gegründet und sind auf einem Hof im finnischen Tornedal zu Hause. Die Mutter ist eine gutmütige Person, die ihre Kinder liebt, wenn auch nicht alle im gleichen Maße, während der herrischen Vater ein Klima von Angst und Schrecken verbreitet. Die meisten der zwölf Kinder sind bereits erwachsen und haben schon früh ihr Elternhaus verlassen, um ihr Leben im weit entfernten Stockholm oder sogar Helsinki zu führen. Doch die starke Verbindung zu ihrer Mutter zieht sie immer wieder nach Hause, so auch an diesem Weihnachten, nach dem sich alles verändern soll…

Die schwedische Autorin Nina Wähä hat mit »Vaters Wort und Mutters Liebe« einen faszinierenden Familienroman geschrieben, der auf mich eine unheimliche Sogkraft ausgeübt hat. Die Geschichte handelt von einer Familie mit zwölf Kindern, die im finnischen Tornedal auf einem Bauernhof leben, und stellt insbesondere die Beziehung der Geschwister untereinander, deren teilweise toxisches Verhältnis zu ihren Partner*innen und die Verbindung der Eltern in den Fokus.

Der Rattenkönig war wieder vereint. Es war so als zöge es die Geschwister zueinander, als würde jedem und jeder Einzelnen aus den Tiefen der eigenen Seele zugeraunt, dass es an der Zeit sei, sich zu versammeln.
Seite 361

Das Cover ziert nicht, wie man von weitem vermuten könnten, romantische Blumen, sondern durch ihre Schwänze verknotete Ratten. Dieses Phänomen gibt es tatsächlich in der Natur, man nennt es »Rattenkönig«.

Liest man den Roman wird der Bezug von Kapitel zu Kapitel deutlicher, und dann ist da auch noch die älteste Tochter Annie, die zum Großteil durch die Geschichte führt und sich und ihre Geschwister als Rattenschar beschreibt, die vom Rattenkönig gerufen wird.

Das Schicksal bestimmter Menschen scheint vorherbestimmter zu sein als das anderer.
Vaters Wort und Mutters Liebe, Seite 123

Nina Wähä räumt in ihrem Roman tatsächlich alle Protagonisten Platz ein und zeichnet damit ein detailliertes Gesamtbild der Mikrosphäre Familie. Gerade zu Beginn verliert man leicht den Überblick über die zahlreichen Familienmitglieder, sodass die abgedruckte Dramatis Personae zu Beginn sowie das beiliegende Lesezeichen von großem Nutzen sind. Die Geschichte trägt sich vor allen Dingen in den 1980er Jahren zu, ausgehend von einer großen Familienzusammenkunft und einem schweren Unfall des jüngsten Toimi-Sprösslings, der die Dinge ins Rollen bringt. In den geschickt eingeteilten Kapiteln sind die Übergänge kaum spürbar und es werden schonungslos alle Seiten des Lebens zutage gebracht, egal ob es sich um Sexualität, Gewalt, Tierquälerei, Alkoholmissbrauch oder die durchweg kaputte Psyche der Protagonisten handelt. Aber auch die Vergangenheit der einzelnen Kinder sowie die Geschichte ihrer Eltern, die bis zum Krieg und dem elenden Hunger in dieser Zeit zurückreicht, wird beleuchtet.

Als Einzelkind war es für mich besonders spannend die Entwicklung zwischen den Geschwistern zu verfolgen, die sich durch ihren (teilweise) ziemlich großen Altersunterschied zu Bündnissen zusammenschließen, eine dementsprechend mehr oder weniger innige Beziehung zueinander haben, und es wird zudem dargestellt wie sich die Bindungen und Loyalitäten im Laufe der Zeit verändern oder einen Bruch erleiden können.

Unerwartet hatte die Wirklichkeit einen Riss bekommen, durch den sie hindurchschlüpfen würde, hinaus in die Freiheit, so lange noch Zeit dafür blieb.
Seite 173

Bei den zahlreichen authentisch gezeichneten Charakteren kristallisierte sich Mutter Siri als meine Lieblingsprotagonistin heraus und ich habe wirklich mit ihr mitgefiebert und so sehr für sie gehofft, dass sie Ausbrechen und zu neuen Ufern aufbrechen kann. Ihr sanftes und unerschütterliches Gemüt, das die ganze Familie zusammenhält, hat mich tief beeindruckt. Ebenso prägend wie Siris Persönlichkeit ist die Herkunft und das Aufwachsen auf einem Hof weit weg von der städtischen Gesellschaft, welche eine deutliche Nuance in der Geschichte einnimmt und ganz nebenbei zusätzlich Wissen über den Norden vermittelt.

»Vaters Wort und Mutters Liebe« ist ein komplexes Familienepos das sich gut weglesen lässt und packende Momente bereithält, zwischendurch jedoch auch die ein oder andere Länge mit sich bringt.


Ein intelligent erzählter Roman über Familie, Herkunft und das Leben selbst.

★★★★☆

*WERBUNG*


Titel: Vaters Wort und Mutters Liebe
Originaltitel: Testamente
Autorin: Nina Wähä
Übersetzerin: Antje Rieck-Blankenburg
Genre: Gegenwartsliteratur
Verlag: Heyne Hardcore
ISBN-13: 978-3453272873
Format: Gebunden
Seitenanzahl: 544 Seiten
Preis: 22,00 €
Erschienen: 22. Juni 2020

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Nina Wähä wurde 1979 in Stockholm geboren. Sie war Schauspielerin und Leadsängerin der Indieband Lacrosse, bevor sie sich dem Schreiben zuwandte. 2007 debütierte sie mit dem Roman S som i syster (S wie in Schwester), drei Jahre später erschien Titta inte bakåt! (Schau nicht zurück!). Beide Romane wurden von der schwedischen Presse gefeiert. Nina Wähä lebt heute mit ihrer Familie in Stockholm.

Quelle: Random House


Ein schöner Schmöker.
Zeilenliebe

Nina Wähä hat mich mit diesem Buch mehrfach überrascht.
Esthers Bücher

[…] wer die ersten etwa einhundert Seiten durchhält, wird mit einem spannenden, emotionalen und unüblichen Roman belohnt.
Schreiblust Leselust

Nina Wähä schreibt mit großer Warmherzigkeit und beeindruckender Klugheit.
NDR Kultur, Annemarie Stoltenberg

Books.and.Twins

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