{Rezension} Tahiti Utopia von Michal Hvorecky


Lesedauer: 4 Minuten

Wir schreiben das Jahr 2020. Mittlerweile leben drei Generationen Slowaken auf Tahiti. Wie kam es dazu, was hat sie dorthin verschlagen? Haben sie das Abenteuer und ein besseres Leben gesucht oder wurden sie doch aus Großungarn vertrieben, wie manche behaupten? Andere erzählen, dass sie Milan R. Stefanik, der berühmte Diplomat, Astronom, Dichter und General dorthin führte, um der Unterdrückung durch die Ungarn zu entfliehen und die Slowakei neu zu gründen. Was man weiß, ist, dass sie alle ein Stück des paradiesischen Atolls für sich wollten. Doch der Traum, in der Südsee ein freies Leben zu führen, entpuppt sich im Aufeinanderprallen der Kulturen schnell als Luftschloss. Denn versetzt an einen anderen Ort treten alte Vorurteile und neuer Nationalstolz zu Tage und breiten sich immer weiter aus. Eine Entwicklung, die leider allzu vertraut erscheint…

Wie bereits der Buchtitel verrät, handelt es sich bei dem Roman »Tahiti Utopia« des slowakischen Schriftstellers Michal Hvorecky um eine Utopie, in welcher die europäische Geschichte einmal auf den Kopf gestellt wird. In seiner Geschichte gestaltet der Autor die Landkarte nach dem Ersten Weltkrieg etwas anders, Großungarn gibt es noch und die Slowaken sind auf die pazifische Insel Tahiti ausgewandert, um der Unterdrückung zu entkommen und an diesem exotischen Ort einen neuen Staat zu gründen.

Der Klappentext klang so vielversprechend, amüsant und unterhaltsam, dass ich die Geschichte einfach lesen musste, allerdings rutscht die Erzählung nach einem vielversprechenden Einstieg in eine staubtrockene Angelegenheit ab, die für mich jeglichen Humor und Dynamik vermissen ließ.

Erzählt wird aus der Warte eines der Gründungsväter Slowakiens, Milan Rastislav Štefánik, der in dieser Utopie seine Landsleute nach Tahiti führt und zu Beginn im Jahre 1923 bei den Nationalfeierlichkeiten auf Neu-Slowakien bei einem tragischen Unfall ums Leben kam. 2020 ranken sich viele Mythen um den gefeierten Nationalhelden Štefánik und es gibt diverse Spekulationen, wie es der slowakisch-französische Staat auf der pazifischen Insel zustande gekommen ist, unter anderem befasst sich eine seiner Nachfahrinnen mit dieser Aufarbeitung.

In einem Rückblick, der fast den kompletten Roman umfasst, begleiten wir Štefánik beginnend bei den Verhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg über die Flucht aus Großungarn bis zum traumhaften Archipel Französisch-Polynesiens. Leider habe ich keinerlei Zugang zu dem Protagonisten gefunden, was wohl auch daran liegen mag, dass sich der Text eher wie eine geschichtliche Abhandlung lesen lässt und nicht wie ein unterhaltsamer Roman. Außerdem empfand ich die politische und gesellschaftliche Einstellungen Štefániks einfach anstrengend zu lesen und hätte vielmehr eine gewagtere Vision mit Wow-Faktor erwartet.

Er glaubte nicht an Amerika, das politische System der USA hielt er für verkappte Tyrannei. Er war sowohl gegen die Trennung von Kirche und Staat als auch gegen das Wahlrecht für Frauen.
Seite 91



»Tahiti Utopia« mag vielleicht für Leser*innen die der slowakischen Geschichtsschreibung bewanderter sind als ich seinen Witz offenbaren, doch mir enthielt dieser Roman seine unterhaltsame Seite, die wohl auf den wenigen Seiten liegen soll, die die slowakische Bevölkerung mit den exotischen Inselbewohner*innen und deren Traditionen aufeinanderprallen lässt – dies bot für mich einfach etwas wenig Substanz!


Die slowakische Geschichte wird in »Tahiti Utopia« einmal umgekrempelt. Meinen Nerv hat Hvoreckys Darstellung, die eher einem Bericht als einem Unterhaltungsroman gleicht, nicht getroffen.

★★★☆☆

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Titel: Tahiti Utopia
Originaltitel: Tahiti
Autor: Michal Hvorecky
Übersetzer: Mirko Kraetsch
Genre: Gegenwartsliteratur
Verlag: Tropen (Klett-Cotta)
ISBN-13: 978-3608504750
Format: Gebunden
Seitenanzahl: 256 Seiten
Preis: 20,00 €
Erschienen: 20. März 2021

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Michal Hvorecky, geboren 1976, lebt in Bratislava. Auf Deutsch erschienen bereits drei seiner Romane und eine Novelle. Hvorecky verfasst regelmäßig Beiträge für die FAZ, Die Zeit und zahlreiche Zeitschriften. In seiner Heimat engagiert er sich für den Schutz der Pressefreiheit und gegen antidemokratische Entwicklungen.

Quelle: Klett-Cotta


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