Kolumne

Goodbye, goodbye, goodbye…

…you were bigger than the whole sky. You were more than just a short time.

Diese Zeilen stammen aus einem Song von Taylor Swift, der meine aktuelle Situation so treffend beschreibt, mich unheimlich berührt und zugleich Kraft spendet, da ich mich mit meinen Emotionen und Gedanken nicht mehr so alleine fühle.

Um mich besser mit meiner Situation auseinanderzusetzen, habe ich mich entschieden, einen ganz persönlichen Text zu schreiben. Vielleicht wird dieser von anderen betroffenen Frauen gelesen und hilft ihnen dabei auch nicht mehr ganz so einsam in ihrem Fühlen zu sein. Hier also mein kleiner Beitrag um ein noch viel zu großes Tabuthema.

Triggerwarnung: Fehlgeburt

Vor so kurzer Zeit sah ich noch dein kleines Herzlein voller Lebenswillen schlagen, doch nun ist dort taube Stille und meine ganze Zuversicht und Hoffnung auf eine glückliche Zukunft zerrinnt wie Asche und Staub in meinen Händen. Sternenstaub, der mich verlässt und ans Himmelszelt emporsteigt. Ein Traum, jäh beendet.

Der Wunsch, endlich eine kleine Familie haben zu können, mit einem Wimpernschlag weggewischt und ausradiert. Das Blatt Papier meines Lebens getränkt in salzig-bitteren Tränen des Verlustes, die heiß auf meinen Wangen brennen.

Ein Schmerz so unvorstellbar groß, der mich innerlich zerreißt und mir den Atem raubt. Noch einmal…

Erschöpft und ausgelaugt liege ich nach 10 Runden im Ring des Lebens am Boden. Zum Aufstehen fehlt (noch) die Kraft. Also bleibe ich liegen und lasse mich von meinen Abermillionen Gefühlen überrollen.

Unbändige Wut auf diesen Verräter, der sich Schicksal nennt, auf die Welt, jeden und alles, doch sie lässt sich nicht entladen, denn es findet sich kein Schuldiger. Der Schrei bleibt unverklungen in meiner Brust, die sich hebt und senkt, als sei nichts geschehen. Das Rad der Zeit dreht sich weiter, doch ich habe den Pausenknopf gedrückt und schwimme in einem See der Trauer und blicke in den tiefen schwarzen Grund, der mich zu verschlucken droht. Wie soll es ohne dich weitergehen? Unvorstellbar und doch ist es so. Eine unverrückbare Tatsache, der ich kaum ins Auge blicken mag.

Mein Anker findet halt bei meinem Stein in der Brandung, denn in unserem Schmerz, unserer Trauer und Verzweiflung sind wir verbunden. Ineinander können wir neue Kraft schöpfen und mit der Zeit mögen sicherlich die Wunden heilen. Wir warten zusammen auf ein neues Licht der Zuversicht.

Das ist meine Geschichte:

Vor fast genau drei Jahren als die Welt durch die Corona-Pandemie still stand hat es mir zum ersten Mal in meinem ganzen Leben den Boden unter den Füßen weggezogen. Drei Jahre nachdem ich die Pille abgesetzt hatte, wurde ich schwanger. Auch wenn wir uns überhaupt keinen Druck gemacht hatten und wir das Schicksal entscheiden lassen wollten, war Freude und Glück auf einmal riesengroß und ich tapste naiv und trunken von einer Zukunft zu dritt, blind in das Abenteuer Schwangerschaft. Von meiner Mutter wusste ich zwar, dass sie vor mir Fehlgeburten erlitten hatte, allerdings hatte ich überhaupt keine Gedanken daran verschwendet, dass es mir genauso ergehen könnte und wie häufig es vorkommt, dass eine Schwangerschaft nicht mit einem Baby in den Armen endet. Zwölf bis vierundzwanzig Prozent der Frauen erleiden in den ersten 24 Wochen der Schwangerschaft eine Fehlgeburt, und obwohl somit fast jede sechste Frau betroffen ist, wird kaum über das Thema gesprochen. Ein absolutes Tabu in unserer perfektionistischen Leistungsgesellschaft.

Sicherlich hätte es mir damals sehr geholfen, zumindest über die Gynäkologin im Vorfeld darüber aufgeklärt worden zu sein, anstatt erstmal verschiedene (kostenpflichtige) Blutuntersuchungen verkauft zu bekommen. In der 8. SSW wurde ich dann mit dem Befund „missed Abortion“ konfrontiert und direkt in einen Schockzustand katapultiert, der mir komplett den Boden unter den Füßen weggerissen hat.

Ich suchte die Schuld sofort bei mir und in meinem Körper, obwohl ich nichts Falsches getan oder gegessen hatte. Redete mir ein, dass es nicht in Ordnung sei, nach so kurzer Zeit bereits so tiefe Empfindungen für das Sternlein zu haben und so sehr zu trauern. Darunter mischte sich Scham, Familie, Freunden und Kollegen davon zu erzählen, da es sich so sehr nach Versagen anfühlte. Es ist aber völlig in Ordnung diese Gefühle zu haben, egal wie viele Wochen das Sternlein alt wurde. Ich musste lernen den Schmerz und alles dazugehörende anzunehmen, denn nur so ließ sich der Verlust bewältigen.

Nach dieser schweren Zeit, noch verstärkt durch die Weihnachtszeit, die Zeit der Familie und der Liebe, hatte sich für mich einfach alles geändert. Der Kinderwunsch nun riesengroß ohne Kompromisse.

Schnell schöpfte ich neue Hoffnung und glaubte fest daran, bald wieder schwanger werden zu können. Immerhin hatte es ja schon einmal geklappt.

Die Wochen, Monate und Jahre zogen ins Land. Hoffnung und Zuversicht verwandelten sich in Verzweiflung und Wut sowie nagende Eifersucht beim Anblick jeder Frau mit Kinderwagen oder Babybauch. Das Bewusstsein über die Irrationalität dieser Gefühle machte es noch schlimmer.

Ich durchlebte eine wahre Odyssee: Untersuchungen wurden gemacht, Liserdol wurde verabreicht, Behandlungen mit Clomifen blieben erfolglos, schließlich wurde eine LSK-Chromo durchgeführt und der Weg ins Kinderwunschzentrum angetreten, mit unserer letzten Option Insemination. Alles vergeblich. Nach diesen drei anstrengenden Jahren inklusive Gefühlsachterbahn, vieler Tiefs und kleiner Aufs war kaum noch ein Hoffnungsschimmer geblieben.

Wie aus heiterem Himmel erschien ein kleiner Streifen Licht am Horizont, der zweite Strich auf dem Test, als alles fast schon aufgegeben war.

Nun war sie also da, meine Regenbogen-Schwangerschaft. Gemischte Gefühle, Sorgen und Ängste überlagerten die immense Freude neues Leben in mir zu tragen.

Die ersten Wochen waren ein reißerischer Strudel, dem ich nur mit dem Mantra „Es kommt alles, wie es kommen soll“ und „Ich habe keinen Einfluss auf das was kommt“ begegnen konnte. Trotzdem gab es Albträume und schlaflose Nächte. Schließlich befand ich mich auf einem Schiff ohne Steuermann und es lag nicht in meiner Hand, wohin mich die Wellen tragen würden.

Rückblickend betrachtet habe ich die Tage bis zu den ersten Kontrollterminen trotz allem ganz gut gemeistert bekommen. Immerhin ist das Risiko einer erneuten Fehlgeburt gering. Erleichterung verschaffte mir schließlich der aufregende Arztbesuch in der 8. SSW als der schnell pulsierende Herzschlag meines kleinen Bauchwesens auf dem Bildschirm des Ultraschallgeräts aufflimmerte. Dieses unfassbare Glück und die absolute Erleichterung trugen mich wie Wolken über die nächsten zwei Wochen. Ich war mir so sicher, dass es dieses Mal gut enden würde. Nur noch selten schlichen sich Sorgen um einen erneuten Schwangerschaftsverlust ein.

Der Ultraschall in der 10. SSW ließ meine schlimmen Albträume wahr werden und zerrte die traumatischen Erfahrungen von 2020 wieder hervor. Genau wie beim ersten Mal hat sich der Blick auf den Bildschirm des Ultraschallgeräts in mein Herz eingebrannt.

Auch nach längerem Suchen kein leisester Herzschlag zu sehen und du kleiner Bauchbewohner bist zu wenig gewachsen…
Die ersten Tränen rollen noch auf dem Untersuchungsstuhl über die Wangen. Jegliche Hoffnung auf eine kleine Familie davongetragen wie Staub im Wind. Dieses Mal kein Schock, dafür ist sofort eine unbändige Wut in mir, die laut schreien und am liebsten etwas zerschlagen will. Denn das Licht, dass du kleiner Stern mir geschenkt hast ist erloschen. Zurück bleibt nur dein Sternenstaub.

Ich möchte mich am liebsten sofort unter einer Decke begraben und dort verkrochen bleiben.

Daher bleibt es hier noch einige Zeit still. Bis meine seelischen Wunden nicht mehr ganz so schlimm bluten, ich meine Einzelteile zusammengekittet habe und Kraft dafür finde, zu entscheiden, wie es weitergehen wird.

Die Liebe für dieses vergangene Sternlein, das nur so kurz in mir leuchten durfte und uns ein warmes Lichtlein spendete, werde ich nie vergessen können. Nun leuchten unsere zwei verlorenen Sternlein zusammen am vorweihnachtlichen Firmament. Einziger Trost in diesem Moment, dass sie jetzt nicht mehr alleine sind.




Du hast ähnliches erlebt? Dann geht es dir vielleicht auch so, dass keine noch so gut gemeinten Worte dieser Welt Trost zu spenden vermögen. Ich hoffe, du findest auch bei deinem Partner oder im Gespräch mit anderen Betroffenen die nötige Kraft und Halt. Ich möchte dir nur eines mit auf den Weg geben: lass deine Gefühle zu, seien sie noch so konfus, denn du brauchst dich derer nicht zu schämen. Versuch über das zu sprechen, was in dir vorgeht oder schreibe es nieder. Den Text kannst du für dich behalten, in einer Truhe verschließen, oder verbrennen, schließlich musst du ihn niemanden zeigen, wenn dies zu schmerzhaft für dich ist. Zumindest habe ich das Gefühl, dass diese Sachen mir bei der Verarbeitung helfen. Du bist nicht alleine damit!

Versuche etwas zu finden, in dem du Ablenken und vielleicht auch Stück Trost finden kannst. Mir hilft es zum Beispiel mich auf die Natur zu fokussieren. Die lange und schwere Wartezeit in der Klinik konnte ich mit Jasmin Schreibers wundervollem Natursachbuch »Schreibers Naturarium« etwas besser bewältigen und falle ich Abends nicht erschöpft in den Schlaf, war mir schon das ein oder andere Mal der »Erlebnis Erde Podcast« behilflich. Indem ich mich auf die faszinierende und spannende Welt der Tiere und Pflanzen fallen lasse, gelingt es mir, zumindest für kurze Zeit, an etwas anderes zu denken.

Mittelerde, Narnia und Co. | Der Reiz fantastischer Welten*

Fantasiewelten begeistern mich mit ihrer grenzenlosen Vielfalt schon seit Jahren und der stetig wachsende Markt an Bücher, Hörbüchern, Filmen, Games etc. zeigt, dass die Nachfrage nach solchen Fluchtmöglichkeiten aus dem Alltag enorm ist. Was reizt uns an diesen Welten so?

Lesedauer: 2 Minuten

»Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.«
Albert Einstein

Seit Jahrhunderten beweisen Schriftstellerinnen und Schriftsteller, dass uns ihr Phantasiereichtum an alle nur erdenklichen Orte bringen kann.

Drachen, Zwerge, Zauberer und viele andere paranormale Wesen und Lebensformen werden in unseren Köpfen lebendig und es wird mit alternativen Gesellschaftsformen gespielt. In unserer Phantasie sind wir frei und deshalb eröffnet sich uns dort auch ein unbegrenzter und unendlicher Raum an Möglichkeiten. Daher sind Fantasiewelten in unzähligen Genre, von der Kinder- und Jugendliteratur über Fantasy und Dystopie bis hin zur Science-Fiction zu Hause.

Egal welche Größe die fiktive Welt aufweist, wie detailliert sie ausgearbeitet wurde, ob sie auf unserem bekannten Planeten (wie z. B. Cassandra Clares Schattenjäger-Welt), einem erdachten Land (wie z. B. Walter Moers ›Zamonien‹) oder in einem weit entfernten Universum (wie z. B. ›Star Wars‹) liegt, die Faszination des Unbekannten und Neuen weckt den Entdeckergeist in uns und manche Fantasiewelten sind dabei so erfolgreich, dass diese aus der Popkultur gar nicht mehr wegzudenken sind.

Das grenzenlose Spielfeld der Phantasie in Kombination mit unserer Vorstellungskraft ermöglicht es uns in Traumlandschaften zu schwelgen und uns Visionen alternierender Wirklichkeiten hinzugeben, fernab vom Stress des Alltags. Zwischen Papierkram und Wocheneinkauf lassen uns die Geschichten über mutige Hobbits, lyrische Lindwürmer und mächtige Magier wundersame Abenteuer erleben.

»Logik bringt dich
von a nach b.
Deine Phantasie bringt dich überall hin.«
Albert Einstein

Das Schöne an Fantasiewelten, sie folgen ihrer eigenen Logik und können physikalische Kräfte vollkommen außer Kraft setzen, deshalb liebe ich seit meiner Kindheit die Nonsens-Geschichten über ›Alice im Wunderland‹ und habe seither die Tür zu dutzend weiteren phantastischen Welten überschritten.

Der Reiz von Fantasiewelten liegt für mich im Speziellen darin, dass es hier eine so große Vielfalt gibt, von humorvollen Geschichten über albtraumhafte Zukunftsvisionen und epischen Sagen bis hin zu galaktischen Weltraumabenteuern, wird so einiges geboten. Dieser Abwechslungsreichtum lässt keine Langeweile aufkommen und es gibt unzählige erdachte Welten und Universen zu erkunden, deren Vielfalt mit den Jahren so einige Subgenres hervorgerufen hat und immer noch zunimmt.

Im Audible Magazin findet ihr ›Die bekanntesten Fantasiewelten‹, eine kleine Analyse des Begriffes, insbesondere der Merkmale und Unterschiede zwischen Fantasiewelt und fiktivem Universum, und einige Inspirationen für das nächste (Hör)buch-Abenteuer.

Wie ist es bei dir? Was macht für dich den Reiz aus, in Fantasiewelten abzutauchen? Oder kannst du damit vielleicht überhaupt nichts anfangen?

*Dieser Artikel ist in freundlicher Zusammenarbeit mit Audible entstanden.

#Femtember | Rachilde – Unbekannte Ikone der queeren Literatur

In meinem Beitrag zum #Femtember, der von Nico von »Im Buchwinkel« initiiert wurde, möchte ich euch die französische Schriftstellerin Marguerite Eymery alias Rachilde vorstellen, die Ende des 19. Jahrhunderts mit ihren Büchern und den darin behandelten ruchlosen Themen sowie ihrer emanzipierten Art für Aufregung sorgte. In Deutschland ist Rachilde und ihr Werk kaum bekannt und so möchte ich mit meiner heutigen Kolumne einen Beitrag dazu leisten diese Ikone der queeren Literatur wieder sichtbar zu machen.

Marguerite Eymery wurde am 11. Februar 1860 als einziges Kind eines Offiziers der französischen Armee geboren. Ihre Mutter war die Tochter eines Zeitungsverlegers und stammte aus einer alteingesessenen Familie, die den Schriftsteller Brantôme zu ihren Vorfahren zählen. In der einsamen Abgeschiedenheit des Familienanwesens »Le Cros« wuchs Marguerite zu einem Mädchen heran, dass wie ein Junge erzogen wurde und durch eine schwierige Beziehung zu ihrer Mutter ein beeinträchtigtes Verhältnis zum weiblichen Geschlecht entwickelte. Mit Zwölf fing Marguerite zu Schreiben an und wurde in einem Brief von Victor Hugo in ihrem Tun ermutigt.

Mit 14 Jahren soll Marguerite schließlich verheiratet werden, doch sie entzieht sich durch einen versuchten Suizid der Vermählung und der damit einhergehende Bevormundung durch einen Ehemann. Ein Jahr später nahm Maguerite den Künstlernamen Rachilde an. Bereits 1877 veröffentlichte sie ihre ersten Artikel und Erzählungen für die regionale Zeitung, ein Jahr später fasste sie den Plan nach Paris zu gehen und Schriftstellerin zu werden, welchen sie 1881 in die Tat umsetzte.

1884 gelang Rachilde, die Männerkleidung trug und das verwirrende Spiel mit Geschlechterrollen beherrschte, der literarischer Durchbruch mit ihrem Roman »Monsieur Vénus«, der aus Angst vor der französischen Zensur in Belgien veröffentlicht wurde, wo sie zu zwei Jahren Haft und einer Geldstrafe verurteilt wurde. Da die tabulose Schriftstellerin jedoch nicht nach Belgien einreiste, konnte die Strafe nicht vollstreckt werden.

Die Zerlegung der althergebrachten Rollenbilder und Demaskierung der Vorstellungen von Mann und Frau betreibt sie auch in ihren kommenden Romanen »La Marquise de Sade« (1887) und »Madame Adonis« (1888).

Bis zu ihrer Heirat mit dem Schriftsteller und Herausgeber Alfred Vallette 1889 trug Rachilde Männerkleidung. Zusammen bekamen sie eine Tochter, die sie Gabrielle nannten und gründeten 1890 den »Mercure de France«, die führende Literaturzeitschrift des Symbolismus, in der sie bis 1925 als Autorin und Kritikerin schrieb. Neben dieser Tätigkeit veröffentlichte Rachilde zahlreiche Romane und Kurzgeschichten, die auch unter den Pseudonymen Jean de Chilra und Jean de Chibra erschienen, welche immer wieder Themen wie sexuelle Identität, Androgynie, Geschlechterkonventionen Emanzipation und Transsexualität behandeln.

In den Räumlichkeiten des »Mercure de France« fanden zudem Künstlertreffen mit namhafter Pariser Autoren des Fin de Siècle statt, darunter waren auch Gäste wie Oscar Wilde. Rachilde war Teil der avantgardistischen Literaturzirkel und bot mit einem Literatursalon bis zum Tod ihres Ehemannes eine Diskussionsplattform für bedeutende Autoren.

Rachildes Vermächtnis ist heute zum großen Teil vergessen, dennoch lässt sie sich neben Colette und Coco Chanel zu den wenigen einflussreichen Frauen des französischen Dekadentismus zählen. Mit ihrer modernen Lebensweise und ihrem Kampf um die Akzeptanz der diversen Sexualitäten war die junge Schriftstellerin eine beeindruckende Vordenkerin und Wegbereiterin der queeren Literatur, die lange ihrer Zeit voraus war und schon Ende des 19. Jahrhunderts die Grenzen der Geschlechter aushebelte und patriarchalische Gesellschaftskonstrukte dekonstruierte, um geltende Schranken und Konventionen zu Fall zu bringen.

Bisher wurde nur »Der Panther« (1989, Bouvier) dieser beeindruckenden Persönlichkeit ins Deutsche übersetzt. Ich freue mich sehr, dass im September der einstige Skandalroman »Monsieur Vénus« zum ersten Mal in der deutschen Übersetzung im Reclam Verlag erscheinen wird und blicke dieser Veröffentlichung äußerst gespannt entgegen!

»Monsieur Vénus« | Rachilde

Der Titel des Romans ist erzählerisches Programm – hier werden die Geschlechterordnung und -grenzen gründlich durcheinandergewirbelt: Raoule de Vénérande, ihres Zeichens wohlhabende, junge Pariser Adlige, verliebt sich in Jacques Silvert, einen jungen Mann aus einfachen Verhältnissen, der seinen Lebensunterhalt mit Kunstblumen verdient. Sie macht Jacques – nach allerlei Liebschaften beider zu anderen Personen diverser Geschlechter – zu ihrer Geliebten und schließlich zu ihrer Frau. Die französische Literatin mit dem – eher männlich gelesenen – Pseudonym Rachilde schrieb Monsieur Vénus im Paris der 1880er Jahre mit Anfang 20. Sie verstieß mit ihrem Roman so vehement gegen die gesellschaftlichen und sexuellen Konventionen ihrer Zeit, dass das Werk ihr eine Geld- und Haftstrafe einbrachte und nur in einer entschärften Fassung erscheinen konnte.

Zum ersten Mal auf Deutsch – in der vollständigen Originalversion und mit einem Nachwort der Literaturwissenschaftlerin und Expertin für weibliches Schreiben Martine Reid.

Quelle: Reclam Verlag

Weibliches Dandytum

Die Begrifflichkeit Dandy stammt aus dem 18. Jahrhundert und beschreibt Männer, die sich durch einen eleganten und auffälligen Kleidungsstil, Kultiviertheit, formvollendetes Auftreten und die guten Manieren eines Gentlemans auszeichnen.

Die Vertreter des Dandyismus sind bis ins 19. Jahrhundert zu finden und stammen zumeist aus der Künstler-, Schreiber- oder Dichter-Szene, die sich gegen die engen gesellschaftlichen Sitten stellten und eine ganz eigene Lebensphilosophie verfolgten. Der Dandy neigt zu einer starken Selbstinszenierung, genießt die Unabhängigkeit von jeglichen Zwängen, die Arbeit oder Eheleben mit sich bringen würden, und ihm wird ein eher ungezwungenes Verhältnis zum Geld nachgesagt.

Rachilde schreibt in »Monsieur Vénus« über die wohlhabende junge Adelige Raoule, die als Pendant zum männlichen Dandy angesehen werden kann, eine sogenannte Femme Dandy. Vertreterinnen der weiblichen Form des Dandytums, Dandette, sind vergleichsweise wenig bekannt. Doch auch sie haben sich nach mehr Modernität gesehnt und mit Kräften daran gearbeitet althergebrachte Strukturen aufzubrechen.

Quelle Grafik: Pixabay