{Rezension} Unser Feuer erlischt nie von Elizabeth Lee


Lesedauer: 4 Minuten

Lancashire, 1620. Von der Dorfgemeinschaft ausgestoßen lebt die Familie Haworth auf einem von der Pest gezeichneten Hügel außerhalb der Ortschaft. Die älteste Tochter Sarah hat von ihrer Mutter das Wissen über die Heilkunde erlangt, denn diese Dienste und Schutzzauber werden von der Gemeinschaft unter dem Deckmantel der Nacht gerne angenommen. Doch Sarah sehnt sich nach einem normalen Leben, ohne Hunger und die Not für ihren Unterhalt betteln gehen zu müssen.

Als sie Daniel, den Sohn des Bauern, kennenlernt und dieser sich in die Stärke und Wildheit Sarahs verliebt, scheint der Traum zum Greifen nahe. Missgunst gegenüber den heilkundigen Frauen verbreitet sich jedoch rasend schnell, als ein neuer Magistrat ins Dorf kommt und ein Todesfall den Verdacht auf Sarahs Bruder lenkt…

Das Thema Hexenverfolgung ist ein beliebter Aufhänger für historische Romane, und so habe ich schon verschiedene Geschichten gelesen, die dieses blutige Thema einschließen. Elizabeth Lee zeigt in ihrem Debütroman »Unser Feuer erlischt nie« jedoch eine ganz andere Seite und lenkt den Schwerpunkt weg von Verrat, Folter und der abschließenden Verbrennung. Lee erzählt die Geschichte einer Frau, die sich ihrem Schicksal nicht ergibt. Sehr schade, dass bei der deutschen Ausgabe nicht der englische Originaltitel »Cunning Women«, übersetzt ›Schlaue Frauen‹, übernommen wurde, denn in meinen Augen ist dieser viel passender.

Im Mittelpunkt des Romans steht Sarah, die von ihrer Mutter alles über Heilkunde gelernt hat und seit dem Tod ihres Vaters gemeinsam mit ihren Geschwistern in einem heruntergekommenen Haus auf dem Pesthügel außerhalb des Dorfs lebt. Gezeichnet von Armut und ausgestoßen von der Gesellschaft ist es für die Familie schwer, das tägliche Überleben zu sichern. Sarah geht mit ihrer kleinen Schwester betteln, da ihr Bruder John keine Arbeit findet und der Erlös von Medizin und Schutzzaubern immer geringer wird.

Ich bin nicht schuldiger als die sogenannten Gottesfürchtigen, nach den ganzen Geschichten, die uns John erzählt: von Männern, die mit den Frauen von anderen schlafen, ihre Kinder schlagen und Kiesel statt Münzen in den Klingelbeutel werfen. Trotzdem verurteilen sie uns.
Seite 185


Sarah fällt es schwer sich mit ihrer einsamen Zukunft als gezeichnete Frau abzugeben, während es sich die gläubige Bevölkerung gut gehen lässt. Für ihre Familie ist sie jedoch bereit zu kämpfen und alles zu geben.

»All die Jahre hatte ich solche Angst, und jetzt bist du hier, und du hast mir gezeigt, wie man stark ist und dass ich ich selbst sein muss, aber ein Ich, das ich vorher nie hätte sein können.«
Seite 177

Eines Tages wird sie Zeugin, wie der zurückhaltende Bauernsohn Daniel eine Stute zähmt, und gefangen von seinem Einfühlungsvermögen kommen sie sich näher. Aus der Freundschaft zwischen ihnen entwickelt sich schon bald mehr, denn die unterschiedlichen Wesen von Sarah und Daniel passen perfekt zueinander und ergänzen sich, sodass beide Charaktere durch ihre Liebe zueinander wachsen.

Elizabeth Lee bettet in zarten und einfühlsamen Worten das Kennenlernen und Verlieben von Sarah und Daniel in das raue Leben für weise Frauen zur Zeit der Hexenverfolgung ein. Damit bricht sie die bedrückende Atmosphäre der üblichen Erzählungen zu diesem Thema auf, denn der Fokus liegt nicht etwa auf dem Magistrat und einer vehementen Verfolgung der Familie, sondern vielmehr auf einer subtilen Angst vor den Frauen mit Heilkundewissen und den Gerüchten über ihre dämonischen Sprösslinge. Außerdem betont sie die Stärke dieser Frauen, die am Rande der Gesellschaft ihr Leben unter widrigsten Umständen bestreiten.

Das Mystische um Hexenmale, Schutzgeister und weiteres Zauberwerk wird als alltäglicher Bestandteil von Sarahs Leben einbezogen und verleiht der Geschichte einen leicht übersinnlichen Anstrich, der für unterschwellige Spannung sorgt.

Neben Sarahs Ich-Perspektive gibt es auch Kapitel, die in der dritten Person erzählt, das Geschehen aus Daniels Warte betrachten lassen, was natürlich der Liebesgeschichte eine bessere Dynamik verleiht und damit die Tür für Dramatik und Herzschmerz weit aufstößt. Allerdings hat mich der Wechsel zwischen den Erzählperspektiven gerade zu Anfang immer wieder aus dem Lesefluss herausgerissen und ich kann es mir nur so erklären, dass die Autorin mit diesem Stilmittel noch mehr Nähe zu Sarah schaffen wollte.


Eine berührende Liebesgeschichte, mit einer Heldin, die dem Kampf gegen ihr vorherbestimmtes Schicksal mit Stärke entgegentritt.

★★★★☆

*WERBUNG*


Titel: Unser Feuer erlischt nie
Originaltitel: Cunning Women
Autor*in: Elizabeth Lee
Übersetzer*in: Wibke Kuhn
Genre: Historischer Roman
Verlag: List (Ullstein Buchverlage)
ISBN-13: 978-3471360439
Format: Gebunden
Seitenanzahl: 416 Seiten
Preis: 19,99 €
Erschienen: 27. Mai 2022

bei amazon bestellen

Elizabeth Lee hat das Curtis Brown Stipendium gewonnen. Cunning Women ist ihr erster Roman.

Quelle: Ullstein Buchverlage


Die Geschichte ist dramatisch, herzzerreißend, düster und vor allem so atmosphärisch, dass man den Dreck der Dorfstraßen oder den Ruß der Kamine regelrecht riechen und fühlen kann.
WDR 4, Cathrin Brackmann

Du hast das Buch auch besprochen? Gib mir einfach über die Kommentarfunktion Bescheid. Ich verlinke Deine Rezension dann gerne hier.

Sag auch etwas dazu...

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.