{Rezension} Die Töchter des Nordens von Sarah Hall


Lesedauer: 4 Minuten

Umweltkatastrophen und Wirtschaftskrisen haben das Zusammenleben von Grund auf verändert. In England herrscht ein diktatorisches System, dass das Leben der Bevölkerung in enge Raster presst. Die Menschen leben auf engem Raum, haben keinerlei Privatsphäre und nur wenig zu Essen. ›Schwester‹, eine junge Frau, entflieht der Kontrolle des Staates und findet bei einer von Frauen geführten Rebellen-Gruppierung in den Bergen des Lake District ein neues Zuhause. Doch das Leben in der berüchtigten Gemeinschaft ist hart und geprägt von militärischem Drill, was die Frauen zur Waffe im Kampf gegen die repressive Politik schärft.

Utopie, Dystopie und feministischer Roman in einem – genau das ist Sarah Halls Werk »Die Töchter des Nordens«, welcher in einer unbestimmten Zukunft in England angesiedelt ist. In ihrem nicht einmal 300 Seiten starken Buch widmet sich die Autorin der Frage, ob Frauen eine bessere Welt erschaffen können.

Die Geschichte der Romanheldin, die nur unter dem Namen ›Schwester‹ in Erscheinung tritt, erzählt Sarah Hall anhand Protokollakten. Mit diesem Stilmittel beschränkt sich die Erzählung auf die nötigsten Punkte und trifft dennoch den Nagel auf den Kopf. Die erschreckenden Zustände in ›Schwesters‹ Leben in der Stadt werden schnörkellos in all ihrer Brutalität und Ausweglosigkeit dargestellt.

Zusammen mit ihrem Mann lebt ›Schwester‹ in beengten Wohnverhältnissen, geht einem sinnlosen Job in einer Turbinenfabrik nach, der sie nicht erfüllt und musste die Zwangseinsetzung einer Spirale über sich ergehen lassen, da Mutterschaft nur noch durch einen Lotteriegewinn geduldet wird. Der repressive Staat hat nach Umweltkatastrophen und Wirtschaftskrisen nur noch die Macht der Angst und Unterdrückung auf seiner Seite. ›Schwester‹ fühlt sich in ihrem Leben gefangen und als ihr Mann seinen Widerstandswillen gegen das Diktaturregime verliert, zerbricht ihre Liebe und sie macht sich eines Nachts alleine auf die Flucht nach Carhullan.

Die Farm Carhullan befindet sich in den Bergen des Lake District und wird von einer Gemeinschaft weiblicher Abtrünniger bewirtschaftet. Die Frauen leben vollkommen souverän unter der Führung der charismatischen Jackie. Doch das Willkommen der radikalen Gruppierung stellt ›Schwester‹ auf eine schwere Probe, denn auch unter der Frauenherrschaft gibt es Gewalt und hierarchische Machtstrukturen. Während die Einen als Arbeiterinnen dafür sorgen, dass Leben in der Abgeschiedenheit zu ermöglichen, werden die Anderen als Kriegerinnen ausgebildet. Seit vielen Jahren ist ›Schwester‹ die Erste, der die Flucht nach Carhullan gelang und somit wird sie zu einer entscheidenden Figur für Jackie.

Fesselnd werden die schweren Lebensbedingungen auf Carhullan einem Leben in der Stadt gegenübergestellt. Die Freiheit des mühsamen Lebens in der abgeschiedenen Natur als Selbstversorger vs. der Käfig der Unterdrückung in einem patriarchalen Staat. Im Mittelpunkt steht jedoch auch die eindrucksvolle Entwicklung der Romanheldin, die erst durch die Härte der spannungsgeladenen Frauengemeinschaft zu ihrer inneren Stärke findet.

Die Geschichte wurde im Original (»The Carhullan Army«) bereits 2007 veröffentlicht und hat seither sogar noch an Aktualität gewonnen, denn Sarah Hall wirft brisante Themen wie weiblichen Selbstbestimmung und die Frage um ein freies Leben auf den Tisch. Welche Maßnahmen darf ein Staat ergreifen, wie weit darf die Freiheit von Menschen eingeschränkt werden, und ist der Kampf gegen einen repressiven Staat nur mit Gewalt zu lösen?

Sarah Hall hat mit »Die Töchter des Nordens« einen zeitlosen Roman geschaffen, der das Potenzial für einen Klassiker in sich trägt. Jedoch muss ich sagen, dass ich an einigen Stellen noch eine weitere Ausführung wünschenswert gehalten hätte, um die Entwicklungen zum Ende der Geschichte etwas schlüssiger und kraftvoller erscheinen lassen.


Sarah Hall ist mit »Die Töchter des Nordens« ein eindringlicher Roman über eine feministische Rebellion gelungen, der zum Nachdenken anregt und sich oftmals viel realer als eine Dystopie anfühlt. Gänsehautfaktor!

★★★★☆

*WERBUNG*


Titel: Die Töchter des Nordens
Originaltitel: The Carhullan Army
Autorin: Sarah Hall
Übersetzerin: Sophia Lindsey
Genre: Gegenwartsliteratur
Verlag: Penguin Verlag
ISBN-13: 978-3328601012
Format: Gebunden
Seitenanzahl: 256 Seiten
Preis: 20,00 €
Erschienen: 13. April 2021

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Sarah Hall, 1974 in Cumbria geboren, studierte Literatur an der schottischen Universität St. Andrews. Sie hat Romane und Storys veröffentlicht, die mit bedeutenden Preisen und Stipendien ausgezeichnet und von der Kritik bejubelt wurden. Feministische Themen und intensive Naturbeschreibungen verbinden sich in ihrem Werk, das in zwölf Sprachen übersetzt ist, auf überraschende, ungewohnte Weise. Zuletzt erschien 2016 ihr Roman »Bei den Wölfen«. Sarah Hall lebt mit ihrer Familie in Norfolk.

Quelle: Penguin Verlag


Nervenzerreißende Spannung von der ersten bis zur letzten Seite.
Schreiblust Leselust

Das Buch macht dystopisch deutlich, dass die Selbstbestimmung über den eigenen Körper eines der wichtigsten Grundrechte ist.
erzaehlwas.de

Da kriegt man beim Lessen richtig Gänsehaut.
Buchzeigerin

Ihre [Sarah Halls] präzise und doch schöne Prosa kommt allen Aspekten ihres treffsicheren Romans zugute: den gelungen charakterisierten Figuren, dem feministischen Spirit, dem beeindruckenden Setting und den reizvollen Naturbeschreibungen ihrer Heimat im Lake District.
Die Zukunft, Christian Endres

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