{Rezension} Babel von Rebecca F. Kuang


Lesedauer: 6 Minuten

Ein Cholera-Ausbruch 1828 machen einen Jungen im chinesischen Kanton zu einem Waisenkind, welches von dem undurchsichtigen Professor Lovell nach London gebracht wird. Unter dem Namen Robin Swift lernt er im Haus des Professors jahrelang die alten Sprachen Latein, Altgriechisch und vertieft seine Muttersprache Chinesisch. Denn Robin soll später einmal als Student am Königlichen Institut für Übersetzungen in Oxford lernen, um die wichtige Arbeit im Turm – auch bekannt als Babel – zu verrichten, in der die gesamte Macht des britischen Empire begründet liegt. In Babel befindet sich nicht nur eine Abteilung für Übersetzung und Recht, sondern auch die magische Kunst des Silberwerkens ist hier zu Hause. Nur dank der verzauberten Silberbarren konnte das Empire große Teile der Welt kolonisieren, so wie auch Robins Heimat.

Als Robin Swift herausfindet, was wirklich hinter der glänzenden Fassade Babels passiert und er von dem geheimnisvollen Hermes-Bund angeworben wird, gerät er zwischen Studium und Freundschaft zu den Kommilitonen aus seinem Jahrgang auf einen Weg, der alles, wofür er bisher gelebt hat, infrage stellt. Der drohende Krieg zwischen China und Großbritannien zwingt Robin schließlich dazu, sich für eine Seite zu entscheiden.

Der historische Fantasyroman »Babel« von Rebecca F. Kuang ist derzeit als internationaler Bestseller in aller Munde und wird hochgelobt, umso gespannter war ich darauf, mir ein eigenes Bild zu machen. Auf den ersten Blick sticht auf jeden Fall die wunderschöne Ausstattung des Romans in Auge, mit einem ausdrucksstarken schwarzen Cover mit goldener Schrift, einem dazu passenden Lesebändchen, sowie dem geprägten Bucheinband, der sich unter dem Schutzvorschlag verbirgt, ist »Babel« ein wirklich schöner Hingucker. Außerdem findet sich im Buch eine Karte des Schauplatzes in Oxford und des Turms ›Babel‹.

»Wir sind hier, um mit Worten Magie zu wirken.«
Seite 122

Der Romaneinstieg konnte mich auch direkt verzaubern, denn Rebecca F. Kuang hat einen fabelhaften Erzählstil. Wie sie ihre Geschichte über den Waisenjungen Robin Swift, die Magie der Sprache und die Zeit der Studenten in Babel aufbaut, hat mich schon stark an Harry Potter erinnert, dann hören die Gemeinsamkeiten allerdings auch schon auf.

Klar geht es auch um Freundschaft und Magie, allerdings stehen auch noch viele weitere tiefgründige Themen, wie die Frage nach Zugehörigkeit, Rassismus und den Machtverhältnissen der an der Kolonialisierung beteiligten Staaten auf der Agenda. Sehr gut gefallen hat mir, dass die Autorin den Übersetzern die Rolle der Helden übergibt und ihre Geschichte angereichert ist mit vielfältigen Bezügen aus der Etymologie, sie auf detaillierte Fragen bei Übersetzungen eingeht, sowie Wort- und Sprachstämmen und den feinen Unterschieden in den Sprachen nachgeht. Auch die Idee der Magie, die durch Silberbarren gewirkt wird und durch darin eingeritzte Worte in verschiedenen Sprachen entsteht, hat mir sehr gut gefallen.

[…] die Macht der Barren liegt in den Worten. Genauer gesagt in dem, was durch Worte nicht ausgedrückt werden kann – das, was wir verlieren, wenn wir zwischen den Sprachen vermitteln. Das Silber fängt ein, was verloren ging, und verschafft ihm Existenz.
Seite 123


Die erste Hälfte des Romans hat mich unheimlich begeistert, hier wird alles ausführlich erklärt, die Charaktere werden eingeführt und man spürt das erwartungsvolle Prickeln auf die nächsten Kapitel. Als Hauptakteur ist Robin nach meinem Geschmack etwas zu sehr in sich gekehrt, ganz im Gegensatz zu seinem Studienkameraden Ramy, der aufgeschlossen durch die Welt schreitet, um diese zu erobern. Natürlich haben es beide Jungen mit ihrem chinesischen und indischen Hintergrund nicht leicht im weißen Großbritannien zu bestehen, auch wenn Babel und die Universität mit ihrem Schwerpunkt auf Sprache eine Sonderstellung einnimmt. Ist das Institut doch auf frische Muttersprachler angewiesen, um seine Machtstellung als Kolonialmacht nicht zu gefährden. Wie auch Victoire, die aus Haiti stammt und in Frankreich groß geworden ist.

Das ist kein Zufall; das ist bewusste Ausbeutung fremder Kulturen und fremder Ressourcen. Die Professoren tun gerne so, als wäre der Turm die Zuflucht für reines Wissen, als ob er über den weltlichen Belangen von Geschäft und Handel stünde, aber das tut er nicht. Der Turm ist eng mit dem Geschäft des Kolonialismus verwoben. Er ist das Geschäft des Kolonialismus.
Seite 146


Neben Ramy und Victoire ist Letty, die einzige weiße Britin im Bunde von Robins Studienjahrgangs. Während Robin, Ramy und Victoire durch ihre Herkunft und ihre Rassismuserfahrungen eine direkte Verbundenheit verspüren, wünscht sich Letty nichts sehnlicher als dazuzugehören und als Frau für ihre Leistungen respektiert und anerkannt zu werden und so entsteht eine ambivalente tiefe Freundschaft die einer Familie gleichkommt. Wie in jeder guten Familie gibt es aber auch bei den Freunden immer wieder Differenzen und besonders die Reibungspunkte zwischen dem extrovertierten Ramy und Letty veranschaulichen hervorragend die Kluft zwischen Briten und Ausländern.

Die stolze, laute und zugeknöpfte Letty stand für alles, was Ramy an den Briten missfiel, und Robin vermutete, dass er erst dann Ruhe gäbe, wenn er Letty dazu gebracht hatte, ihr eigenes Land zu verraten.
Seite 186


Robin, der anders als Ramy mit einer deutlich naiveren Weltanschaung durchs Leben schreitet, wird erst nach und nach klar, wie sehr sein Traum vom wunderbaren und bequemen Leben unter den Briten in Babel mit seinen Wurzeln im Widerstreit steht. Neben den Gesprächen mit Ramy trägt vor allem auch sein Kontakt zum Hermes-Bund, der im geheimen die Revolution gegen die Kolonialmacht anstrebt, zu seinem Umdenken bei und in den langsamen Fahrwassern des Handlungsverlaufes kommt eine leichte Strömung auf.

Der Kontrast zwischen Robins Herkunftsland China und dem Empire wird durch eine Exkursion in seine Heimatstadt Kanton deutlich, die schließlich das Blatt vollkommen wendet und einen Angelpunkt in der Geschichte darstellt. Im Angesicht eines Handelskrieges zwischen China und Großbritannien muss Robin seine Seite wählen, womit großes Potenzial zu einem spannenden Finale zu Grunde liegt. Vom folgenden Verlauf bin ich etwas enttäuscht worden, da es die Autorin nicht schafft die Handbremse zu lösen und ein furioses Finale zu liefern. Vielmehr verliert sie sich in ihren Ausführungen und einem starren, unbeweglichen Streik, der die anfängliche Magie der Geschichte lähmt.

Auf dem Papier sind hier alle liberal, ja, doch in Wirklichkeit geringschätzig. […] Jede Schwäche, die wir zeigen, wird als Bestätigung der gemeinsten Theorien über Frauen angesehen; dass wir zart besaitet, hysterisch, von Natur aus zu schwachgeistig seien, um die Arbeit zu leisten, die wir hier leisten müssen.
Seite 215


Eine andere Seite der Medaille ist die Rolle von Victoire und Letty als Frauen, die im Jahre 1830, eigentlich überhaupt nicht studieren hätten dürfen, doch auch hier wird in ›Babel‹ eine Ausnahme gemacht. Die Behandlung der Frauen in der Gesellschaft spricht jedoch Bände, wenn sie z. B. keine Unterkunft direkt auf dem Campus beziehen dürfen und in der Bibliothek zum Ausleihen von Büchern eine männliche Begleitung benötigen.

Das geschnürte Gesamtpaket aus den Themen Identität, Zugehörigkeit, Rassismus und Feminismus hat mir wirklich sehr gut gefallen. Auch die ambivalente Freundschaft von Robin, Ramy, Victoire und Letty hat einen guten Drive mitgebracht und die Idee um die Magie der Sprache und des Übersetzens ist wirklich hervorragend umgesetzt. Obwohl Rebecca F. Kuang mit Worldbuilding, Entwicklung der Charaktere und vielen weiteren Details zu überzeugen vermag, hat mich der abschließende Handlungsverlauf etwas verloren und das große Feuerwerk hat bei mir nicht ganz gezündet. Kritik auf hohem Niveau und deshalb trotzdem eine große Leseempfehlung für Fans historischer Fantasy!


Ein gewichtiges Werk zwischen Magie, Universitätscharme und den spannenden Themen Kolonialismus, Rassismus und Feminismus, mit viel Detailverliebtheit umgesetzt.

★★★★☆

*WERBUNG*


Titel: Babel
Originaltitel: Babel
Autor*in: Rebecca F. Kuang
Übersetzer*in: Heide Franck, Alexandra Jordan
Genre: Historische Fantasy
Verlag: Eichborn (Bastei Lübbe)
ISBN-13: 978-3847901433
Format: Gebunden
Seitenanzahl: 736 Seiten
Preis: 26,00 €
Erschienen: 28. April 2023

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Rebecca F. Kuang ist New-York-Times-Bestsellerautorin und war für den HUGO, NEBULA, LOCUS und WORLD FANTASY AWARD nominiert. Sie ist Marshall- Stipendiatin, Übersetzerin und hat einen Philologie-Master in Chinastudien der Universität Cambridge und einen Soziologie-Master in zeitgenössischen Chinastudien der Universität Oxford. Zurzeit promoviert sie in Yale in ostasiatischen Sprachen und Literatur.

Quelle: Bastei Lübbe


Babel ist ein ungewöhnliches, sehr intelligentes Buch, auf das man sich einlassen muss.
Buchperlenblog

Ihr historischer Fantasy-Roman Babel, übersetzt von Alexandra Jordan und Heide Franck, mischt Dark-Academia-Ästhetik mit Wokeness und Übersetzungstheorien mit postkolonialen Debatten.
TraLaLit

Ein Roman mit Potential zur Begeisterung sowohl sprachlich als auch inhaltlich, an dem mich aber einige Aspekt gestört und irritiert haben.
Lust auf Literatur

Ein großartiges Werk, das noch lange nachhallen wird!
Weltenwanderer

Ein spannendes Buch, das man kaum aus der Hand legen kann. Ein Lesehighlight!
Nicoles Bücherwelt

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2 Kommentare

  1. Das Buch reizt mich zwar nicht so sehr, aber deine Rezension ist klasse, liebe Stefanie! :)
    Ich wünsche dir einen feinen Montag,
    Marie

    • Liebe Marie,

      herzlichen Dank für deine lobenden Worte :), auch wenn das Buch jetzt nichts für dich ist.

      Ich wünsche dir ein wunderbares Wochenende!

      Herzlichst
      Bella

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