{Rezension} Bezimena von Nina Bunjevac

In einem namenlosen Ort, zu einer unbestimmten Zeit, wird Benny geboren. Er ist ein Kind, das sich schon in frühen Jahren zu einem Sonderling entwickelt, einem nachdenklichen Außenseiter, der lieber Kuriositäten sammelt, als mit seinen Mitschülern zu spielen. Als junger Mann arbeitet er im Zoo, wo er eines Tages Becky wiedersieht, das Objekt seiner Begierde aus Kindertagen. Scheinbar versehentlich lässt Becky ihr Skizzenbuch mit erotischen Zeichnungen im Zoo liegen, sodass Benny es findet…

Nicht ganz leicht zu verdauender Stoff liefert Nina Bunjevac, die in ihrer Graphic Novel »Bezimena« in die Haut eines Täters schlüpft und die erschreckenden Szenen mit dem griechischen Mythos von Artemis und Siproites verknüpft. In diesem Werk, dessen Titel in den meisten slawischen Sprachen »namenlos« bedeutet, verarbeitet die kanadisch-jugoslawische Künstlerin auf besondere Weise ihre eigene Erfahrung mit sexualisierter Gewalt.

Der unglaublich akkurate und geradlinige Stil von Nina Bunjevac zog mich von der ersten Seite an in den Bann, dabei unterstützt die ungewöhnliche Darbietung, bei der die Bilder nicht von Panels im Zaum gehalten werden, sondern durch ganzseitige Tusche-Zeichnungen mit feinen Schraffuren genügend Raum erhalten, um ihre ganze hypnotisierende Wirkung zu entfalten. Während die linken Seiten für die Sprechblasen der Erzählerin reserviert sind, gibt es auf den rechten Seiten die eindrucksvollen Zeichnungen Bunjevacs zu erkunden, bei denen die Leser*innen in eine voyeuristische Rolle gedrückt werden.

© Nina Bunjevac/avant-verlag 2020
© Nina Bunjevac/avant-verlag 2020

Eine Sage aus der antiken Mythologie über Artemis, die griechische Göttin der Jagd und Hüterin der Kinder und Frauen, berichtet über die Begebenheit als der kretische Jäger Siproites die jungfräuliche Göttin heimlich beim Baden beobachtet und als Strafe dafür in eine Frau verwandelt wurde. Für ein ähnliches Vergehen wurde auch der Jäger Aktaion von Artemis in einen Hirsch verwandelt woraufhin ihn seine eigenen Hunde zerfleischten.

Die strenge und grausame Göttin Artemis übernimmt in Bunjevacs Comic die Rolle der alten Frau Bezimena, die eine von Leid gepeinigte Priesterin unter Wasser drückt und ihr dadurch eine Neugeburt als Junge beschert. Somit wird in »Bezimena« die griechische Sage einmal auf den Kopf gestellt und eröffnet damit ein erschreckendes Sichtfenster.

In der Haut des Jungen Benedict, der durch das Wunder seiner späten Geburt seinen Namen, der »Glückskind« bzw. »Sohn des Glücks« bedeutet, erhielt, erfährt die Priesterin, die selbst Opfer sexualisierter Gewalt wurde, nun das Leid eines Täters am eigenen Leib.

© Nina Bunjevac/avant-verlag 2020
© Nina Bunjevac/avant-verlag 2020

Nina Bunjevac ist mir mit ihrer Geschichte tief unter die Haut gegangen, führt sie mit den immer wiederkehrenden Spiralen doch vor Augen, dass sich Opfer und Täter in einen immer wiederkehrenden Teufelskreis befinden. Mit »Bezimena« blickt die Künstlerin anhand eines Mythos über die Grenzen hinweg und vermittelt damit ein verstörendes wie auch erschreckendes Bild.

© Nina Bunjevac/avant-verlag 2020
© Nina Bunjevac/avant-verlag 2020

Eine Triggerwarnung möchte ich noch abschließend aussprechen, denn diese Graphic Novel ist durch die unzensierten Abbildungen sexueller Gewalthandlungen definitiv nichts für schwache Nerven.


Nina Bunjevac verknüpft in »Bezimena« brillant und beängstigend zugleich, den Horror sexueller Gewalt mit einer Sage aus der griechischen Mythologie.

★★★★★

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Titel: Bezimena
Originaltitel: Bezimena
Autorin & Illustratorin: Nina Bunjevac
Übersetzer: Benjamin Mildner
Genre: Comic
Verlag: Avant Verlag
ISBN-13: 978-3964450326
Format: Gebunden
Seitenanzahl: 224 Seiten
Preis: 30,00 €
Erschienen: Mai 2020

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Nina Bunjevac (*1974 in Toronto) begann ihre künstlerische Ausbildung in Jugoslawien an der Djordje Krstic-Hochschule für angewandte Kunst in Belgrad. 1990 zog sie zurück nach Toronto, Kanada, und setzte dort ihr Kunststudium an der Central Technical School fort, das sie 1997 in den Fächern Grafik und Malerei abschloss. Ursprünglich Malerin, Bildhauerin und Kunstlehrerin fand Nina ihre Berufung als Comiczeichnerin.

Nina Bunjevacs Comics sind in vielen lokalen und internationalen Publikationen erschienen: Komikaze (Kroatien), Black (Italien), Giuda (Italien), Stripburger (Slowenien), Zone 5300 (Niederlande), Stripolis (Serbien), ArtReview (GB), Asiatrome/Le Dernier Cri (Frankreich), Broken Pencil, Exil, Taddle Creek (Kanada), Mineshaft und Best American Comics (USA).

Ihre Debutalbum Heartless, eine Sammlung von Kurzgeschichten, erschien im September 2012 bei Fantagraphics, ihr zweites Buch Fatherland im September 2014 bei Jonathan Cape.

2011 erhielt Nina auf der 11. Internationalen Biennale der Illustration die Goldene Feder Belgrads für ihr Cover des Buches „Balkan-Frauen im Comic“, 2013 wurde ihr der Doug-Wright-Award in der Kategorie „Spotlight“ verliehen.

Homepage: ninabunjevac.com

Quelle: Avant Verlag


Bezimena ist ein fesselnder Band, dessen Zeichnungen sich einbrennen und dessen Geschichte mir noch lange im Kopf umherschwirrte.
Comic Report

„Bezimena“ ist ein Horrortrip aus der Perspektive des Täters – großartig und schwer erträglich.
SPIEGEL, Timur Vermes

Ein verstörendes Buch über sexualisierte Gewalt.
Deutschlandfunk Kultur

Mit Bezimena hat Nina Bunjevac eine hypnotische Bildergeschichte vor dem Hintergrung traumatischen Erfahrung geschaffen.
TEXTEM, Christoph Bannat

rbb online (Andrea Heinze) | Süddeutsche Zeitung

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