{Rezension} Der Mauersegler von Jasmin Schreiber


Lesedauer: 4 Minuten

Menschen träumen vom Fliegen, wovon träumt ein Mauersegler? Vielleicht vom Fallen, so wie wir an der Grenze zwischen Wachsein und Schlaf.
Im freien Fall befindet sich auch Prometheus, als sein bester Freund Jakob stirbt. Nach einer überstürzten Flucht vor Polizei, Familie und sich selbst schlägt er am dänischen Strand auf. Der Mauersegler erzählt von einem Mann, der unter seiner Schuld zu zerbrechen droht. Und von zwei Frauen, die wenig Fragen stellen – wie alle Menschen, die ihre eigenen Geheimnisse haben.

Die Geschichte einer großen Freundschaft, eines unerwarteten Todes und der Suche nach Vergebung.

Jasmin Schreiber hatte mich mit ihrem Debütroman »Marianengraben« und mit ihrer Art zu Schreiben direkt abgeholt. Sie versteht es die Schattierungen von Trauer mit einer Originalität und Komik zu mischen, was ihre Geschichten mit Licht erfüllt.

In ihrem neuen Roman »Der Mauersegler« bleibt die Schriftstellerin ihrem Sujet treu, denn es stehen wieder schwere Themen von Trauer, Schuld, Verzweiflung, Suizid und Tod im Vordergrund. Dieses Mal dicht verwoben mit der Natur, und durch die Namensverwandtschaften auch mit der Mythologie.

Der Hauptakteur Prometheus, der seinen Namen dem griechischen Gott, der den Menschen das Feuer brachte, verdankt, ist Arzt und steht nun mit seiner protzigen Arztkutsche an einem Autostrand in Dänemark und will sich das Leben nehmen. Doch der Suizid gelingt ihm nicht, genauso wenig wie er seinem allerbesten Freund das Leben retten konnte.

Mit Jakob verband ihn seit der Kindheit ein starkes Band, die Freunde erzählten sich alles und in rückblickenden Erinnerungsfetzen erhält man Einblick in die Gespräche der Freunde, die sich auch immer wieder um die faszinierenden Mauersegler drehen, welche ihr ganzes Leben im Flug verbringen.

Prometheus bekam eine Gänsehaut, als er sich vorstellte, dass einige der Mauersegler hier vielleicht tot sein könnten. Geister zum Anfassen, Geister, die vielleicht auch mal in ein Kinderzimmerfenster hineinflattern konnten, wenn die Mutter es, wie so oft im Sommer, nachts offen stehen ließ.
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Schnell ist klar, dass Prometheus eine Schuld auf sich geladen hat, der er mit dem Tod zu entrinnen hofft. Am dänischen Strand wird er, von seiner Verzweiflung überwältigt, von der alten Frau Aslaug gefunden. Aslaug hilft ihm sein Auto abzuschleppen, welches im Sand feststeckt – so wie Prometheus in einer Sackgasse – und nimmt ihn auf dem Pferdehof von sich und ihrer Lebensgefährtin Helle auf. Das ältere Pärchen gibt Prometheus einen Rückzugsort und die Zeit und Ruhe sich und seine Gefühle zu ordnen.

Richtig gut gefallen haben mir die starken Unterschiede im Naturell der beiden Frauen, deren Namen übrigens aus der nordischen und griechischen Mythologie stammen. Während Aslaug eine resolute und bestimmende Ader in sich trägt, die schon einmal überschäumen kann, ist Helle die gutmütige Seele auf dem Pferdehof, die für jede Blessur ein Kraut oder Salbe vorrätig hat.

In dieser geschützten Umgebung durchlebt Prometheus die Wut über den Verlust seines engsten Vertrauten Jakob, der an Krebs erkrankte. Hinzu kommen die übergroßen Schuldgefühle, da er als Arzt seinen Freund nicht vor dem Tod bewahren konnte. Jasmin Schreiber wählt dabei einfühlsame Worte, welche dazu verleiten auch in sich selbst hineinzuhorchen und sich zu fragen, wie man in dieser Situation selbst handeln würde. Taschentücher sollten auf jeden Fall genügend bereitliegen, denn die Aufarbeitung dieser Geschichte lässt kein Auge trocken! Besonderes Highlight für Fans der Schriftstellerin ist der kurze Gastauftritt von Paula aus »Marianengraben«.


Ein emotionaler Sturzflug voller Schuld, Trauer und Wut. Dieser Roman lässt einem die Haare zu Berge stehen und versöhnt mit viel Liebe und Licht.

★★★★★

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Titel: Der Mauersegler
Autorin: Jasmin Schreiber
Genre: Gegenwartsliteratur
Verlag: Eichborn (Bastei Lübbe)
ISBN-13: 978-3847900795
Format: Gebunden
Seitenanzahl: 240 Seiten
Preis: 22,00 €
Erschienen: 27. August 2021

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Jasmin Schreiber, geboren 1988, ist studierte Biologin und arbeitet als Schriftstellerin. Ihr Bestseller MARIANENGRABEN war das erfolgreichste belletristische Debüt 2020, im März 2021 folgte ihr humorvoll erzählerisches Sachbuch ABSCHIED VON HERMINE, das sich ebenfalls in der SPIEGEL-Bestsellerliste platzieren konnte. Im Wissenschaftspodcast BUGTALES.FM erzählt sie von Nacktmullen, Bärtierchen und Walexplosionen. Gemeinsam mit einer absurden Anzahl an Tieren lebt Schreiber in Hamburg und macht das Internet auf Twitter und Instagram unter @LaVieVagabonde unsicher.

Quelle: Bastei Lübbe


Meine Augen sind teilweise wie manisch über die Seiten geflogen weil ich immer schneller immer mehr wollte, bis hin zum großen Knall. Wie eine startende Rakete in einem langen Tunnel.
Im Buchwinkel

Jasmin Schreibers Worte sind poetisch und berührend. Sie lenkt den Blick gelungen auf Details und ließ mich die Emotionen der Charaktere ungefiltert spüren.
Buchsichten

Der Mauersegler ist ein besonderes Buch über Leben, Sterben, Freundschaft und Vergebung. An manchen Stellen muss man schmunzeln, an anderen ist einem nur noch nach Heulen zumute.
Funklust, Lea Marie Kiehlmeier

Der offene Umgang mit dem Tod, der Transport von Emotionen durch Motive aus der Natur, sowie unzählige biologische Fakten machen Der Mauersegler zu einem Roman, den nur Jasmin Schreiber hätte verfassen können.
Bedroomdisco, Fred

Bei aller tiefsitzenden Verlustverarbeitung ein freundliches Buch über Freundschaft und Scheitern, über Verzagen und Vergebung und Weiterleben.
Frankfurter Rundschau, Thomas Stillbauer

Ein wundervoller, trauriger, schmerzhafter und dennoch hoffnungsvoller Roman, der mit leisem Humor winkt, während man sich noch eine Träne fortwischt.
Buchstabenträumerei

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6 Kommentare

  1. Liebe Bella,
    mir hat der Mauersegler (mit kleinen Abstrichen) sehr gut gefallen. Witzig, dass du ebenfalls den „Gastauftritt“ erwähnst. Den fand ich auch sehr schön.
    Liebe Grüße
    Marie

    • Liebe Marie,

      ich mag es total, wenn Autor*innen solche Cameoauftritte einbauen :) und hoffe sehr auf tolle noch kommende Romane der Autorin.

      Hast du auch ihr Buch „Abschied von Hermine“ gelesen?

      Liebe Grüße
      Bella

      • Liebe Bella, ich auch :)
        Nein, das Buch habe ich noch nicht gelesen. Ich werde aber gucken, ob und was du darüber zu berichten hast.
        Liebe Grüße
        Marie

        • Liebe Marie,

          ich werde es sicherlich bald lesen und dann gibt es natürlich eine Rezension dazu ;)

          Herzliche Grüße
          Bella

  2. Hey Bella,

    vielen Dank für die Verlinkung. Auch dein Fazit, der emotionale Sturzflug, spricht mir aus der Seele. Ein tolles Buch und mit einer der Gründe, warum ich so gerne lese.

    Liebe Grüße,
    Nico

    • Hi Nico,

      wie immer sehr gerne :)

      Das ist eine prima Fazit von dir, denn genau solche Bücher sind herrlich bereichernd und ich hoffe sehr, dass wir von Jasmin Schreiber noch viel zu lesen bekommen werden! (Kürzlich durfte bei mir auch noch „Abschied von Hermine“ bei mir einziehen.)

      Liebe Grüße und ein schönes Wochenende
      Bella

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