{Rezension} Geisterwand von Sarah Moss


Triggerwarnung: Das Buch enthält Gewaltmissbrauch in der Familie (gegen Frauen und Kinder)

Lesedauer: 4 Minuten

Eine dreiköpfige Familie lebt für einen Sommer mit einigen Studenten und einem Professor in einem archäologischen Camp in Northumberland, um das Leben der Eisenzeit zu erforschen. Das naturverbundene Leben, nahe dem Moor, mit all seiner faszinierenden und mystischen Kraft einer längst vergangenen Zeit, eröffnet den Raum nicht nur für das Jagen und Sammeln von Nahrung, sondern bereitet auch den Boden für archaische und rohe Rituale…

Sarah Moss vermischt in ihrem atmosphärischen Roman »Geisterwand« die Anziehungskraft der Vergangenheit mit den realen und greifbaren Ängsten einer siebzehnjährigen jungen Frau in der Gegenwart.

Silvie ist siebzehn Jahre alt und verbringt den Sommer mit ihrer Mutter und ihrem dominanten Vater, der seinen ganzen Jahresurlaub für sein archäologisches Hobby genommen hat, in einem Camp in den Wäldern Nordenglands, nahe der Grenze zu Schottland. Das Projekt zur Erforschung der Lebensweise in der Eisenzeit wird von einem Professor geleitet und von einigen seiner Studenten begleitet, doch schnell wird klar, dass eigentlich Silvies Vater mit seiner ganzen Inbrunst bezüglich der britannischen Vorfahren die eigentliche Führung übernommen hat. Mit pedantischer Genauigkeit achtet ihr Vater auf das getreue Nachahmen der damaligen Zeit, von der Kleidung, der Schlafstätte bis hin zur Nahrungszubereitung, um so den Vorfahren so nahe wie möglich zu kommen.

[…] an manchen Tagen wusste ich einfach, dass er es brauchte, mich zu schlagen, und egal, wie vorsichtig ich mich verhielt, früher oder später gab ich ihm einen Grund, aber diesmal war es wirklich das, was ich getan hatte, was ihn so wütend machte, dachte ich.
Seite 70


»Meine Gedanken begannen zu flackern, mein Geist ein Vogel, der gegen das Fenster flog. So war es oft, am Tag danach.«
Seite 77

In der Sommerhitze, die Haut gereizt von den kratzenden Tuniken aus grobem Stoff und belastet durch die kräftezehrende Suche nach Nahrung schmelzen die Masken des gesellschaftlichen Miteinanders der Gegenwart und geben den Blick auf die rohe Seite der Menschlichkeit frei. Doch Silvie versucht dennoch die Zeichen der Gewaltausübung ihres Vaters vor den anderen zu verbergen.

Die feinfühligen Worte von Sarah Moss lassen die bangen Gefühle und panische Angst, die Silvie gegenüber ihrem beherrschenden Vater empfindet, zunächst unterschwellig anklingen, was sich jedoch schon bald zu einer greifbaren Furcht steigert und sich stetig verdichtet, bis man den unangenehmen Kloß einer bösen Vorahnung nicht mehr verleugnen kann.

Eine Beklemmung, der man sich nicht entziehen kann, dringt zwischen den Zeilen zu einem durch und wird durch die alten Rituale und Gebräuche, derer die Männer nachspüren noch verstärkt. Nachdem die Urinstinkte und Triebe nicht mehr durch Jagen zu befriedigen sind, üben die gewaltigen Mächte von Geisterwand und Opfergaben ihre Anziehungskraft aus.

Mit Molly das Camp zu verlassen war, als würde man sich in der Pause aus der Schule schleichen, um Süßigkeiten zu kaufen […].
Seite 81


Silvie ist fasziniert von der Studentin Molly, die im Gegensatz zu ihr ein ungebrochenes Selbstbewusstsein ausstrahlt und ohne Angst mit ihren männlichen Studenten umgeht, sogar nackt baden geht. Molly bleibt es nicht verborgen, dass mit Silvie etwas nicht stimmt, und versucht unter die harte Schutzschale der Verdrängung zu knacken.


Sarah Moss nutzt in »Geisterwand« die gespenstische Kraft der urzeitlichen Riten aus, um gegenwärtigen Missbrauch und Unterdrückung mit einer Gänsehaut-Geschichte zu verdeutlichen.

★★★★★

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Titel: Geisterwand
Originaltitel: Ghost Wall
Autorin: Sarah Moss
Übersetzerin: Nicole Seifert
Genre: Gegenwartsliteratur
Verlag: Berlin (Piper Verlag)
ISBN-13: 978-3827014139
Format: Gebunden
Seitenanzahl: 160 Seiten
Preis: 20,00 €
Erschienen: 3. Mai 2021

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Sarah Moss, 1975 geboren in Schottland, studierte und promovierte an der Oxford University. Heute unterrichtet sie an der University of Warwick. Sie ist Autorin mehrerer Romane – auf Deutsch erschienen bis dato Schlaflos (2013), Wo Licht ist (2015), Zwischen den Meeren (2016) und Gezeitenwechsel (2019).

Quelle: Piper Verlag


Eine exakt geschliffene Erzählung, bei der kein Wort zu viel verloren wird.
Buchperlenblog

Ein lehrreiches und literarisches Meisterstück über die Verbindung von fehlgeleitetem Wissen, Gewalttätigkeit und rückwärts gerichtetem Nationalismus.
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3 Kommentare

  1. Hallöchen meine Liebe!
    Das war wieder eine große Freude, dieses Buch gemeinsam mit dir zu erleben. Und ich denke, es ist eines der Bücher, an die man sich auch noch sehr sehr lange erinnern wird.

    Alles Liebe!
    Gabriela

    • Hallo meine Liebe,

      die Freude war ganz auf meiner Seite – es war mir wie immer ein Fest!

      Ich glaube auch, dass ich an „Geisterwand“ noch sehr lange denken werde. Es ist mir einfach so sehr unter die Haut gegangen.

      Hab einen guten Start ins Wochenende!

      Herzlichst
      Deine Bella

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